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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 27.08.2009


Der Die Das
Katharina Liese

Der Diplomfilm der Regisseurin Sophie Narr für die Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" dokumentiert das erste Schuljahr von Kindern in Berlin-Wedding mit all seinen Höhen und Tiefen.




Im alltäglichen Umfeld zwischen Schule und Freizeit zeigt der Dokumentarfilm die SchülerInnen der Anna-Lindh-Grundschule im Berliner Stadtbezirk Wedding: Bright, Fuat, Laethicia und Sanita, deren Eltern verschiedenster Herkunft (Bosnien, Deutschland, Nigeria, Türkei) sind, müssen sich wie alle anderen der Grundschulklasse 1e mit den gleichen SchulanfängerInnen-Problemen, wie Konzentrationsschwierigkeiten oder Integration in den Klassenverband, auseinandersetzen. Den Anforderungen des Unterrichts gerecht zu werden, bereitet einigen mehr Schwierigkeiten als anderen.

Bright, dessen Eltern aus Nigeria und Holland stammen, spielt in der Freizeit mit seinen Geschwistern in einem trostlosen und kahlen Innenhof. Die Kinder wissen sich zu beschäftigen, doch es kommen Diskussionen zwischen Bright und seiner großen Schwester auf. Zentraler Streitpunkt ist ihre Hautfarbe.

In der Anna-Lindh-Grundschule, wo sich der AusländerInnenanteil auf 60 % der SchülerInnen beläuft, steht die Herkunft der 6- bis 8-jährigen stets im Vordergrund. Die Kinder werden im Unterricht an alle Nationalitäten herangeführt, die in der Klasse vertreten sind. Anhand von Landkarten und Abbildungen der Nationalflaggen lernen sie spielerisch dazu.

Durch geschickt aufgebaute Einzelgespräche mit den Kindern und durch von ihnen selbst angefertigte Zeichnungen ihrer Familien wird den ZuschauerInnen ein tiefer Einblick in deren Seelen gewährt, ohne dabei indiskret zu werden.
Teilweise erschrecken die Aussagen der Kinder, wie die der Bosnierin Sanita. So äußert sie, dass sie gerne Polizistin mit einer Waffe wäre, um sich immer schützen zu können.

Laethicia, ein aufgewecktes Mädchen mit Brille und Prinzessinnenschmuck, ist ihren MitschülerInnen gegenüber sehr hilfsbereit.
"Mensch, Junge, Junge…", sagt sie, während sie Fuat, der im Unterricht wieder nicht hinterherkommt, eine Aufgabe souverän erklärt.
Laethicia ist frech und mutig. Wenn es mit den Jungs zu Streitigkeiten kommt, schreckt sie auch vor körperlicher Verteidigung nicht zurück.
Mit ihrer witzigen, nahezu reifen Art spricht sie vor laufender Kamera offen über ihre Familienverhältnisse. Zu Hause langweile sie sich meist oder spiele Computer.
"Hartz IV-Empfänger" ertönt es plötzlich aus dem Mund des Mädchens, das nun sehr nachdenklich gestimmt ist.

Generell fällt auf, dass die Mimik der Kinder, vor allem in den Close Ups, eher ernsthaft ist. Wenn man in ihre Augen schaut, lassen sich Probleme in der Familie sowie aufkommende Schwierigkeiten in der Gesellschaft erahnen. Doch andererseits erwärmen auch die kleinen Erfolgserlebnisse der Kinder und deren damit verbundenen stolzen und wachen Gesichtsausdrücke das Herz der ZuschauerInnen.

Genau in dieser prekären Grundschulphase werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Dies ist der Ort, an dem die ersten Konflikte im Leben der SchülerInnen auftauchen und die sie bis in die Zukunft prägen.
Rund 40 % der ErstklässlerInnen wurde eine schlechte bis ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache bescheinigt, was für die Kinder im sozialen Brennpunkt Wedding erschwerend hinzukommt.

Die SchülerInnen werden stets auf Augenhöhe gefilmt, was die Wirkung einer gleichgestellten Beobachterin erzielt. Der respektvolle und zurückhaltende Umgang beim Filmen der Kinder hat hierbei oberste Priorität und driftet dabei zu keiner Zeit ins Voyeuristische oder Aufdringliche ab, was dem Film ungemein an Aufrichtigkeit verleiht.

Die Regisseurin Sophie Narr und ihre Kamerafrau Anne Misselwitz verbrachten mehrere Wochen in der Anna-Lindh-Grundschule und fingen mit dem Blick für das Wesentliche realistische und sehenswerte Bilder aus dem Leben der ErstklässlerInnen ein.
"Der Die Das" erhielt 2008 etliche Auszeichnungen, wie u.a. den "New Berlin Film Award" und den "Förderpreis des Landesmedienzentrums Rheinland-Pfalz". 2009 wurde der Dokumentarfilm mit dem "Bildgestalterinnenpreis" beim "Internationalen Frauenfilm Festival Dortmund" ausgezeichnet.

AVIVA-Tipp: Mit dem Dokumentarfilm "Der Die Das" ist der Regisseurin Sophie Narr und der Kamerafrau Anne Misselwitz ein stimmiges Gesamtwerk gelungen, das die ZuschauerInnen durch seine Authentizität und seine ungeschminkte Darstellung am Leben multikultureller SchülerInnen teilhaben lässt und damit ein realistisches Abbild der Kinder unserer Gesellschaft bietet.


Zur Regisseurin: Sophie Narr ist am 17. April 1980 in Berlin geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach ihrem Abitur 1999 nahm sie ihre Ausbildung zur "Film und Video Editorin" beim Arbeitskreis Medienpädagogik e.V. in Berlin auf und arbeitete als Cutterin für verschiedene Fernsehproduktionsfirmen. 2002 studierte sie Screenwriting an der ´Australian Film, Television & Radio School` in Sydney und nahm 2003 ihr Drehbuch/Dramaturgie Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen – Konrad Wolf in Babelsberg auf. Ihre erste Regiearbeit verwirklichte Sophie Narr 2007 mit "Platz im Schatten" - einem Kurzfilm, der sich mit der kindlichen Sicht auf unterdrückte Familienkonflikte auseinandersetzt. Der nach einem eigenen Drehbuch entstandene Film feierte seine Premiere auf den 53. Kurzfilmtagen in Oberhausen und wurde weltweit auf Festivals eingeladen und mit diversen Preisen ausgezeichnet. Im November 2007 erhielt er von der Filmbewertungsstelle das Prädikat besonders wertvoll und wurde zum Kurzfilm des Monats gekürt. Sophie Narr erhielt u.a. für ihre Regiearbeit den Hans W. Geißendörfer Nachwuchspreis. "Der Die Das" ist ihr Diplomfilm an der HFF – Konrad Wolf. Seit 2009 ist Sophie Narr Stipendiatin in der Sektion Film- und Medienkunst an der Akademie der Künste in Berlin und schreibt an ihrem Debütfilm.

Zur Kamerafrau: Anne Misselwitz wurde 1977 in Jena geboren. Von 1997 bis 2002 lebte und studierte sie in London. 2001 schloss sie ihr Studium mit dem Bachelor of Arts in Film und Video am London College of Communications ab.
Von 2002 bis 2007 studierte sie Kamera an der Hochschule für Film und Fernsehen – Konrad Wolf in Potsdam Babelsberg.
Nach mehreren Dokumentar - und Spielfilmen ist "Der Die Das" ihr Abschlussfilm an der HFF.
Weitere Infos und Kontakt: http://annemisselwitz.com


(Presseinformation)


Der Die Das
D 2008
92 Minuten
Regie, Idee: Sophie Narr
DarstellerInnen: SchülerInnen der Anna-Lindh-Grundschule in Berlin-Wedding
Kamera: Anne Misselwitz
Ein Film der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam-Babalsberg
Kinostart: 27. August 2009
Der Film im Netz:
www.kleinestolpersteine.de


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Beitrag vom 27.08.2009

AVIVA-Redaktion